Was glauben Satanisten wirklich? (2024)

Folter, Tieropferungen und düstere Rituale - die Vorstellung von Satanisten ist geprägt von Schreckensszenarien und Hollywood-Klischees. Doch was verbirgt sich wirklich hinter dieser kontroversen Weltanschauung? Ist es tatsächlich eine dunkle Bedrohung oder nur ein missverstandenes Phänomen?

Es ist ein düsteres Bild von rituellem Kindesmissbrauch, unheimlichen schwarzen Messen und Tieropferungen: Das Bild von Satanisten, das in der Öffentlichkeit vorherrscht, ist eines von schrecklichen Menschen, die andere missbrauchen und ihr Leben einer dunklen übernatürlichen Macht gewidmet haben, die sie dazu bringt, für "das Böse" in der Welt einzustehen. Doch ist das wirklich so? Um es gleich vorwegzunehmen, dieses Bild von Satanisten ist zwar populär und weitverbreitet, und es wird immer wieder in Medienberichten und Hollywood-Filmen gezeichnet. Es ist aber vor allem auch eines: komplett falsch.

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Der Ursprung dieser verzerrten Vorstellung lässt sich bis ins Jahr 1980 zurückverfolgen, als das Buch "Michelle Remembers" veröffentlicht wurde. Geschrieben von einem kanadischen Psychiater und seiner Patientin Michelle (seiner späteren Frau), erzählt das Buch von der angeblichen Kindheit Michelles in den Fängen eines satanistischen Kults. Die detaillierten Berichte von grausamen Ritualen und satanischer Misshandlung trugen maßgeblich dazu bei, dass ein sehr düsteres Bild von sogenannten "Satanisten" entstand.

Das Buch wurde in den Folgejahren inhaltlich weitgehend widerlegt. Für die Existenz satanischer Kulte, die rituellen Missbrauch begehen, gibt es bis heute keinerlei Belege. Und doch entfachte "Michelle Remembers" ein Feuer, das so leicht nicht zu löschen war: Die sogenannte "Satanic Panic" erfasste in den 1980er und frühen 1990er-Jahren Nordamerika und weite Teile der Welt. Plötzlich schienen hinter jeder Ecke satanistische Verschwörungen zu lauern. Es ist leicht vorzustellen, dass auch die Medien ihren Teil dazu beitrugen, es war aufgrund seiner düsteren Symbolik ein dankbares und gern aufgegriffenes Thema. Und natürlich spielten auch damals schon Verschwörungsmythen und das Bedürfnis nach einfachen Erklärungen für komplexe soziale Probleme eine zentrale Rolle.

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Satanismus - ein modernes Phänomen

Doch was steckt dann tatsächlich hinter dem Phänomen Satanismus? Was glauben Satanisten - und welche Werte vertreten sie? Auch wenn der Begriff "Satan" in der jüdisch-christlichen Theologie und der mittelalterlichen Dämonenlehre schon lange bekannt ist, so ist der Satanismus als eigenständige Weltanschauung ein modernes Phänomen. Geprägt wurde er vorwiegend durch die Werke von Aleister Crowley (1875-1947) und später Anton LaVey (1930-1997). Crowley, ein bedeutender Okkultist, legte mit seiner "Thelema"-Bewegung den Grundstein für viele esoterische Traditionen, die bis heute existieren.

LaVey hingegen prägte stark jene Bewegung, die sich heute als "Satanisten" bezeichnet. Mit der Gründung der Church of Satan 1966 läutete er eine neue Ära ein. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war seine Beobachtung von Bigotterie unter Menschen, die sich als Christen verstanden. LaVey war zeitweise als Organist in Gottesdiensten tätig. Folgendes Zitat ist von ihm überliefert: "Am Samstagabend sah ich Männer, die nach halb nackten Mädchen gierten, und am Sonntagmorgen, als ich die Orgel spielte, sah ich dieselben Männer mit ihren Frauen und Kindern in den Kirchenbänken sitzen und Gott bitten, ihnen zu vergeben und sie von fleischlichen Gelüsten zu befreien. Am nächsten Samstag waren sie wieder auf dem Rummel oder an einem anderen Ort des Vergnügens. Damals wusste ich, dass die christliche Kirche von Heuchelei lebt." LaVey kritisierte also die Doppelmoral der religiösen Institutionen - hier hat der moderne Satanismus seinen Ursprung.

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In der Folge entwickelte LaVey ein eigenes Regelwerk und eigene Glaubenssätze. Er stellte den Individualismus und die Selbstverwirklichung in den Mittelpunkt seines Satanismus, im Gegensatz zu den theistischen Religionen, die seiner Ansicht nach nur Gehorsam und Unterwerfung predigten. LaVeys Philosophie war eine bewusste Provokation gegen die vorherrschenden religiösen Normen und ein Aufruf zur persönlichen Freiheit und Rationalität. Und diese Prinzipien bilden bis heute das Fundament des modernen Satanismus.

Satanisten glauben: Satan existiert nicht

LaVey formulierte seine Ideen in der "Satanischen Bibel", die 1969 veröffentlicht wurde und als ein zentrales Schriftstück des modernen Satanismus gilt. Diese Bibel enthält unter anderem die "Neun satanischen Grundsätze". Der Erste lautet zum Beispiel: "Satan steht für Genuss statt für Enthaltsamkeit!" Die Verwirklichung des eigenen Verlangens statt Enthaltsamkeit und Selbstverleugnung - das ist ein wesentlicher Punkt der satanistischen Weltanschauung. Durch Grundsätze wie diese stellte LaVey den christlichen Werten eine Philosophie gegenüber, die auf individuelle Stärke und Selbstbestimmung setzt. Anstatt Demut, Keuschheit und Vergebung zu fördern, rief er zu Stolz, Vitalität und Vergeltung auf. Es war eine radikale Abkehr von den traditionellen religiösen Normen, wie sie in der Prägung des Christentums, die er kannte, verbreitet waren.

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Darüber hinaus entwickelte LaVey auch Rituale und Zeremonien, die allerdings nichts Magisches oder Okkultes an sich hatten, auch wenn es nach außen hin so wirken konnte. Diese Rituale sind nicht auf die Anbetung eines übernatürlichen Wesens ausgerichtet, sondern sollen helfen, ihre inneren Wünsche und Emotionen auszuleben. LaVey legte großen Wert auf den psychologischen Nutzen dieser Rituale. Er glaubte, dass die symbolische Handlung und die damit verbundene mentale Fokussierung den Menschen helfen können, ihre Ziele zu erreichen und persönliche Stärke zu entwickeln.

Und damit wären wir bei einem weiteren Kern der satanistischen Weltanschauung: Satanisten glauben weder an einen Gott noch an einen Satan. Sie sind Atheisten. Natürlich mag es kleine Splittergruppen oder Einzelpersonen geben, die diesem Bild nicht entsprechen, die dann wiederum in einem eher esoterisch-okkulten Spektrum zu verorten sind. Doch das sind Ausnahmen. "Satan" ist für Satanisten in aller Regel nicht mehr als ein Symbol. Ein Symbol des Widerstands gegen autoritäre und insbesondere kirchliche Normen, eine bewusste Provokation, die die eigene Selbstverwirklichung und Rationalität als höchstes Gut verkündet. Im Kern geht es im modernen Satanismus um die Befreiung des Individuums von (religiösen) Dogmen und gesellschaftlichen Zwängen, um die Förderung einer aufgeklärten und rationalen Weltsicht.

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Dankbare Symbolik für düstere Verbrechen

Und ja: Satanisten spielen immer wieder bewusst mit dem düsteren Bild, das sie selbst auch von sich zeichnen. Sie distanzieren sich aber deutlich von Verbrechen, die angeblich im Namen Satans begangen oder von jeglichen magischen Ritualen, die mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Denn natürlich gibt es die Fälle, in denen satanistische Symbole und Begriffe von Kriminellen oder Tätern mit psychischen Krankheiten missbraucht werden, wie beim sogenannten Satansmord von Witten.

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Das kann zu einer verzerrten Wahrnehmung führen. Für organisierte "satanistische Verbrechen" oder angebliche rituelle Missbräuche, wie sie etwa während der "Satanic Panic" behauptet wurden und bis heute immer wieder behauptet werden, gibt es keinerlei Belege.

Auch wenn der Satanismus nichts ist, wovor man sich fürchten muss - es bleiben dennoch kritische Fragen, denen sich eine solche Weltsicht stellen muss. Da wäre etwa die radikale Betonung des Individualismus. Selbstverwirklichung und persönliche Freiheit sind zweifelsohne wichtige Werte. Doch wer die Empathie und das Mitgefühl für andere ganz außen vor lässt - und so kann man manche der neun satanischen Grundsätze von LaVey verstehen - läuft Gefahr, zu einem radikalen Egoisten zu werden. Zu jemandem, der sich weder um andere noch um das Gemeinwohl schert.

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Auch sozialdarwinistische Anklänge finden sich in der satanistischen Philosophie. Wenn die eigenen Bedürfnisse absolute Gültigkeit erlangen, gleicht das einer Vergöttlichung des eigenen Ichs: Es zählt nur, was ich will. In extremen Formen kann dies nicht nur dazu führen, dass Menschen mit einer solchen Einstellung unangenehme Zeitgenossen sind. Es kann auch den Nährboden dafür bieten, andere Menschen als weniger wertvoll zu betrachten und sich selbst als Teil einer Elite zu verstehen, die glaubt, das Recht zu haben, andere nach eigenem Ermessen zu behandeln.

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